Antifaschistischer Monatsbericht Januar 2022 (3): Landkreis Oldenburg

Corona-Rechte in Harpstedt

Wie im Dezember-Bericht dokumentiert, gab es im Zuge der Proteste der Freien Niedersachsen seit dem 28.12. auch Versammlungen in Harpstedt, damals mit 10 Personen (Siehe: Antifaschistischer Monatsbericht Dezember 2021 – Erste Aktivitäten aus dem Querdenken-Spektrum in Ahlhorn, Wardenburg, Harpstedt und Neerstedt). Fortgesetzt wurden diese am Dienstag, den 04.01., dieses Mal mit etwa 20-25 Teilnehmer*innen, u.a. Cora C., Hilke D.und Melanie W.. Zudem sei dieses Mal die Polizei hinzugerufen worden, deren Auftreten zwar zwischenzeitlich für Streit sorgte, insgesamt schien die Versammlung aber ereignislos zu Verlaufen. Erwähnenswert ist außerdem, dass sich Mitglieder der evangelischen Gemeinde vor die Kirche stellten, um das Abstellen von Kerzen zu verhindern. Die AfD widmete dem Spaziergang und der folgenden Berichterstattung einen ausführlichen Bericht auf ihrem Blog, in dem unter anderem davon die Rede ist, dass der AfD-Samtgemeinderat Dayne Conrad in Kontakt mit der Kreiszeitung getreten sei und so eine „Relativierung“ eines eher kritischen Online-Artikels erreicht habe.

Die Versammlung der Corona-Rechten in Harpstedt läuft am 04.01. in der Lange Straße ohne Polizeibegleitung.

Am darauffolgenden Sonntag, den 09.01., fand vermutlich erneut eine Versammlung mit etwa 11 Teilnehmer*innen statt, wie aus der Selbstdarstellung der Freien Niedersachsen hervorgeht. Die Versammlung zwei Tage später, am Dienstag den 11.01., erregte überdies für längere Zeit mediale Aufmerksamkeit. Wie bereits in anderen Orten des Landkreises, beispielsweise in Wardenburg am 09.01., hat die Polizei die Versammlung mit einem großen Aufgebot zerstreut und mehrere Maßnahmen durchgeführt. Dies berichtet nicht nur die AfD, sondern wurde auch von der Kreiszeitung aufgegriffen, welche zwei Augenzeug*innen interviewte, die nach eigenen Aussagen nicht an den Versammlungen teilgenommen hätten und dennoch in eine Maßnahme gerieten. Diese berichteten zudem auch von unprovozierten körperlichen Angriffen von Seiten der Polizei. Ein Aufzug der etwa 20 Personen kam nach unseren eignen Informationen nur kurzzeitig zustande und wurde dann gestoppt, gefilmt hat die Polizei das Geschehen aus einem grauen Kleinbus heraus. Außerdem leitete die Polizei fünf Verfahren wegen Ordnungswidrigkeit ein. Unter den Teilnehmer*innen waren auch einige Personen, die Tage zurvor an der Demonstration in Wildeshausen teilgenommen haben.

Maßnahme der Polizei an der Kreuzung Burgstraße/Lange Straße/Mullstraße während der Versammlung am 11.01. Zu sehen ist außerdem der graue Kleinbus der Polizei.

Das geschilderte Vorgehen zeigt, sofern es wahrheitsgetreu berichtet wurde, wieder einmal, dass die Präsenz der allwöchentlichen Polizeigroßaufgebote in vielen Orten keinesfalls ein wünschenswerter Zustand ist. In der anschließenden Rezeption der Vorfälle tat sich die AfD nicht nur durch einen langen Blogbeitrag hervor, sondern auch mit der Veröffentlichung eines nach eigenen Angaben anwaltlich erarbeiteten Leitfadens für die Teilnehmer*innen der Proteste. Dass es aus Kreisen der AfD keine vernünftige Kritik an der Polizei gab, überrascht jedoch nicht. Lothar Mandalka teilte auf Facebook ein Video einer Polizeimaßnahme in Harpstedt und verglich darin das Vorgehen mit jenem der belarussischen Sicherheitsbehörden während der jüngsten Proteste. Ebenfalls sah er eine im Anfang begriffene Entwicklung hin zu „Gestapo oder Stasi“ und rief dazu auf, sich Namen und Nummern für „spätere Prozesse und Anklagen“ zu merken. Diese Rhetorik, welche einen kriminellen Charakter der aktuellen politischen Entwicklungen nahelegt und auf eine zukünftige „Säuberung“ anspielt, findet sich auch in einem Post vom 21.01., in welchem er ankündigt, ein „Register“ für impfbezogene Nebenwirkungen aufzubauen, um „die Verantwortlichen später zur Rechenschaft ziehen zu können“, wozu er explizit all jene zählt, die für die (Kinder-)Impfung werben. Auch sonst fällt Mandalkas Facebook-Profil mit Falschmeldungen und verschwörungsideologischen Inhalten (AUF1, kla.tv etc.) auf.

Mandalka postet ein Video, das eine Polizeimaßnahme vor dem Hotel „Zur Wasserburg“ zeigt. Er greift dabei zu den oben genannten Vergleichen mit geschichtsrevisionistischen Einschlag. Bildquelle: Screenshot Facebook

Eine zweite Versammlung in Harpstedt fand noch in der selben Woche am Sonntag, den 16.01. statt. Dieses Mal fand die Versammlung mit nach eigenen Angaben mit 18 Personen unbehelligt statt. An den darauffolgenden üblichen Terminen, dienstags und sonntags, fanden keine Versammlungen statt. Die letzte Aktivität im Januar stellt eine Demonstration am Montag, den 31.01. statt. Laut Freie Niedersachsen hätten sich 40 Personen versammelt, die Polizei sei „mal wieder mit massivem Aufgebot vor Ort“ gewesen, hätte die Versammlung aber nicht gefunden – was an den Teilnehmer*innenzahlen und der Beschreibung des Polizeiaufgebots zweifeln lässt.

 

Impfgegner*innen legten am 31.01. eine Kerze und einen Zettel mit einer durchgestrichenen Spritze und dem Wort „Nein“ vor dem Amtshof in Harpstedt nieder. Bildquelle: Twitter

AfD Kreisverband weiter im „Corona-Fieber“

Wie im Dezember war auch im Januar das Thema „Corona“ für die AfD im Landkreis der absolute Schwerpunkt. Neben den diversen Aktivitäten im Rahmen der Corona-Proteste möchten wir hier noch einige andere Aktivitäten dokumentieren. Den Anfang macht ein am 12.01. auf dem Blog des Kreisverbands veröffentlichtes anonymes Schreiben eines (angeblichen) Soldaten, der darin einen „totalitären“ Staat beklagt und das Vorgehen der Polizei gegen die Corona-Rechten unter Hinweis auf den Dienst-Eid kritisiert. Indirekt ruft er auch zur Befehlsverweigerung auf. Dieses absurde Dokument steht im Kontext etwa der Demonstrationen vor der Delmetal-Kaserne in Delmenhorst Ende Dezember oder des Drohvideos des Oberfeldwebels Andreas O. in München.

Einen Tag später, am 13.01., wurde die bundesweite AfD-Kampagne „Gesund ohne Zwang“ beworben, deren Material auch auf den Versammlungen in Wildeshausen zu sehen war (Siehe: Antifaschistischer Monatsbericht Januar 2022 (2): Landkreis Oldenburg – Corona-Rechte in Wildeshausen mit Verbindung zu Polizeibeamten?).

Post der AfD Oldenburg Land mit der Aufschrift „Kontrolliert die Grenzen – nicht unseren Impfstatus“ im Rahmen der Kampagne „Gesund ohne Zwang“. Bildquelle: Screenshot Facebook

Am Samstag, den 22.01.2022, fand in Hannover eine Demonstration der AfD unter dem Motto „Freiheit für unsere Bürger! Freiheit statt Spaltung!“ statt, zu der auch die AfD Oldenburg-Land am 13.01. aufgerufen hatte und welcher sie außerdem einen (kurzen) Nachbericht auf ihrem Block widmeten, der auf den Telegram-Kanal „NielsenNews“ verweist.

„recherche-nord“ schrieb zu der Demonstration:

Beim AfD-Kreisverband Hannover Stadt handelt es sich um eine Gruppierung, die dem ‚moderateren‘ Flügel um Jörg Meuthen nahe steht und sich damit im Gegensatz zur Ausrichtung des momentanen Landesvorstands um Jens Kestner befindet. Diese Ausrichtung war sicher einer der Gründe, warum die Teilnehmer:innenzahl von etwa 200 Personen bereits bei der Auftaktkundgebung vor dem Opernhaus recht überschaubar war.

[…] Bereits nach etwa 100 Metern kam es jedoch zu einem uneingeplanten Zwischenstopp, da zwei Sitzblockaden den geplanten Weg versperrten. Erst nach fast einer Stunde konnte die Demonstration fortgesetzt werden. In dieser Zeit verließen weitere Teilnehmer:innen die Veranstaltung und die Stimmung bei den Verbliebenen verschlechterte sich zunehmend, deutlich erkennbar an den Parolen aus dem AfD-Lautsprecherwagen, in denen die Gegendemonstrant:innen als „neue Hitlerjugend“ und die ebenfalls demonstriende GEW als „linksextreme Organisation“ bezeichnet wurden.

Ein Foto von „Pixel Matsch“ zeigt den ehemaligen Direktkandidat im Wahlkreis 28 (Landkreis Oldenburg, Delmenhorst, Wesermarsch), Adam Golkontt, der offenbar durch jenen AfD-Lautsprecherwagen spricht – gut möglich, dass dieser also für den geschichtsrevisionistischen Vergleich verantwortlich ist. Bildquelle: Pixel Matsch

Am 25.01. gab es in der Kreiszeitung außerdem ein Interview mit dem AfD-Ratsherren Frank Voigt zu lesen. Dieses war Teil einer Interview-Serie, in der sich Mitglieder des Widleshauser Stadtrats zu den Versammlungen der Corona-Rechten äußern. Er argumentiert darin mit Scheinargumenten für die Gefährlichkeit der Impfung (u.a. Warnung vor der Impfung bei Schwangeren Menschen, die gar nicht vorgesehen ist) und begründet damit eine streng individualistische Haltung zur Impffrage. Bemerkenswert sind seine ausweichenden Antworten auf die Frage nach seiner Haltung zur Querdenken-Bewegung, indem er vorgibt nicht zu wissen, was damit gemeint sei, um dann festzustellen, dass es sich um ein „breites Spektrum an Menschen“ handelt – eine offensichtliche Nicht-Antwort. Zuletzt tätigt er noch die äußerst fragwürdige Aussage, die AfD sei nicht rechtsradikal: „Wenn die Partei nach rechts rücken würde, bin ich der Erste, der die AfD verlässt […]“. Zur Einordnung: Voigt liked auf Facebook Seiten wie die der AfD Sachsen, der NPD-nahe-Kampagne „Keine weiteren Asylantenheime in Deutschland“ oder „Wir wollen keinen Islam in Deutschland und Österreich“. Es ist also davon auszugehen, dass er dort nicht nur die Ansichten seiner Parteikameraden zur Genüge kennenlernt, er hat auch offensichtlich selber ein extrem Rechtes Weltbild.

Facebook-Likes von Frank Voigt. Bildquelle: Screenshot Facebook

Corona-Rechte in Hude

Auch im Januar fanden einige Versammlungen der Corona-Rechten in Hude statt. Im Gegensatz zu den Aktionen in der zweiten Dezemberhälfte wurden diese auch wieder auf dem Telegram-Kanal der Freien Niedersachsen beworben. Es nahmen erneut Akteure der Parteien AfD und dieBasis an den Versammlungen teil.

Die Auseinandersetzungen um die Versammlungen der Corona-Rechten in Hude fand jedoch nicht nur entlang der montäglichen Demonstrationen statt. Nachdem eine Initiative aus Hude in diversen Geschäften Plakate mit der Aufschrift „Denk mit statt quer – Impfen rettet Leben“ anbringen ließ, stürmte eine Person aus den Kreisen der Huder Impfgegner*innen, vermutlich Jeannette Harmjanz von dieBasis, in ein Geschäft und drohte in aggressivem Ton mit einer Anzeige wegen Beleidigung und Verleumndung, sollten die Plakate nicht entfernt werden.

Plakate mit der Aufschrift „Denk mit statt quer – Impfen rettet Leben“.

Am Montag, den 03.01., kamen etwa 70-80 Querdenker*innen zusammen, die sich an verschiedenen Orten in Hude sammelten. Kritisch begleitet wurde dieser Aufzug von 6 Personen, die jedoch von der Polizei aufgefordert wurden, das „stören“ zu unterlassen und nach Hause zu gehen. Der Aufzug selbst war unangemeldet und entzog sich den Aufforderungen der Polizei, eine Versammlungsleitung zu stellen, was toleriert wurde. Außerdem stand eine solidarische Gruppe vor der Huder Flores Apotheke, welche in der Vergangenheit Ziel von Drohungen geworden war (Siehe: Antifaschistischer Monatsbericht Dezember 2021 – Versammlungen und Morddrohung von Corona-Rechten in Hude). Diese etwa 10 Personen mussten eine Versammlung anmelden, der geplante Gegenprotest war zuvor wegen des Infektionsgeschehens abgesagt werden. Am darauffolgenden Montag fand sich zwar eine geringe Anzahl an potenziellen „Spaziergänger*innen“ ein, jedoch kam es zu keinem Aufzug. Scheinbar wichen einige potenzielle Teilnehmende auch nach Ganderkesee aus.

Die Versammlung ist am 03.01., wie auch die anderen Versammlungen in Hude, wurde bei den Freien Niedersachsen den ganen Monat angekündigt worden. Bildquelle: Screenshot von dem Telegram-Kanal „Freie Niedersachen“

An der Demonstration am 17.01. nahmen vonseiten der Corona-Rechten 15 Personen teil. Ob diese angemeldet war oder nicht, ist unklar, da in der entsprechenden Polizei-Pressemeldung zunächst von einer angemeldeten Versammlung die Rede ist, während im letzten Absatz von einer unangemeldeten Versammlung in Hude geschrieben wird. Die Kreiszeitung schrieb schlicht die Pressemeldung inklusive dieses offensichtlichen Widerspruchs ab. Im Rahmen der unangemeldeten Versammlung soll ein Verstoß gegen die Maskentragepflicht festgestellt worden sein. An einer angemeldeten Gegendemonstration nahmen 40 Personen teil.

Sharepic von der Initiative aus Hude.

Am 24.01. waren etwa 25 Personen in zwei Gruppen im Huder Ortskern präsent, an der angemeldeten Kundgebung auf dem Bahnhofsvorplatz der Initiative aus Hude nahmen bis zu 70 Menschen teil. Dort wurden zudem zwei Platzverweise gegen Personen ausgesprochen, die die Versammlung zu stören versuchten. Der AfD-Politiker Norbert Lautner, welcher bei der Kommunalwahl 2021 für den Kreistag kandidierte, stattete der Versammlung ebenfalls einen Besuch ab und diskutierte mit einigen Teilnehmer*innen, ohne dabei jedoch allzu konfrontativ aufzutreten. Lautner ist aktuell Ausbildungsleiter beim Luftsportverein Hude e.V..

Die Kandidatenvorstellung von Norbert Lautner auf der Seite der AfD Oldenburg Land – der Name ist allerdings falsch geschrieben. Bildquelle: Screenshot von der Seite www.afd-oldenburg-land.de

Die Zahl der Teilnehmer*innen nahm am 31.01. weiter ab, weshalb nur noch 10 Personen durch den Ort zogen. Laut Polizei konnten vier Verstöße gegen die Maskentragepflicht festgestellt werden. Die Gegendemonstration unter dem Motto „Solidarität und Zusammenhalt“ mobilisierte noch einmal etwa 30 Personen.

Neben den Versammlungen gibt es außerdem seit längerer Zeit einen Telegram-Kanal mit dem Namen „Querdenken_4484 (Hude)“. Auf diesem werden jedoch kaum organisatorischen Hinweise zu Versammlungen in der Region aufgeführt, sondern vor allem allerlei verschwörungsideologische Nachrichten von anderen Kanälen weitergeleitet. So finden sich unter den unzähligen Weiterleitungen Kanäle wie „Freie Sachsen“ und „kla.tv“. Inhaltlich geht es um Verschwörungserzählung wie den „Great Reset“. Betreiber des Kanals ist Matthias Badzun, der in Grummersort (Wüsting; Gemeinde Hude) eine Praxis für Naturheilkunde betreibt.

Vorstellungsseite von Matthias Badzuns Naturheilpraxis. Dort bezeichnet er sich auch als Psychotherapeut. Bildquelle: Screenshot von der Seite www.badzun.de

Die angebotenen Behandlungsmethoden umfassen beispielsweise „Ausleitungsverfahren“, „Eigenblutbehandlung“ oder „Energiearbeit“. Neben unzähligen Verweisen auf diese Praxis lässt sich ihm außerdem ein YouTube-Account zuordnen, welcher ebenfalls Aufschluss über sein rechtes, verschwörungsideologisches Weltbild gibt, auch wenn er dort keine eigenen Videos produziert. Dort findet sich nicht nur eine Playlist zu „Chemtrails“, in der sich unter anderem einstündige Interviews mit dem Oldenburger Antisemiten Werner Altnickel finden. Er folgt dort auch dem rassistischen Blogger Niklas Lotz („Nervforgetnikki“) und der Partei dieBasis. Altnickel selbst nahm im Übrigen am 10.01. selber an Protesten der Corona-Rechten in Oldenburg teil.

Andreas Speit, Autor des Buchs „Verqueres Denken: Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus“, deutet die Corona-Proteste als Teil einer dritten Lebensreformbewegung, deren verbindendes Element eine antimoderne Einstellung ist. Folgendes Zitat stammt aus einem Interview mit dem Antifaschistischen Infoblatt Nr.133 anlässlich der Erscheinung seines Buchs:

In der ersten Lebensreformbewegung führte die Antimoderne auch schon zu Allianzen mit dem Völkischen und dem Reaktionären. […] In einer radikalen Kritik aus der Lebensreformbewegung kann die Moderne gar als ‚jüdische Moderne‘ abgewehrt werden. Eine der vielen antisemitischen Verschwörungsnarrative. Keine Überraschung, dass ‚die Juden‘ mal direkt, mal indirekt als ‚die Rotschilds, die Rockefeller‘ bei den gegenwärtigen Protesten angefeindet werden.

Links: Badzun verbreitet am 12.01. Propaganda über einen angeblichen „Great Reset“.
Rechts: Badzun teilt am 20.01. auf seinem Kanal regelmäßig Inhalte, welche die Rockefellers hinter der Pandemie sehen. Bildquellen: Screenshot von dem Telegram-Kanal „Querdenken_4484 (Hude)“

Im konkreten Fall verbindet diese „Kritik“ an der Moderne also antisemitisch chiffrierte Verschwörungserzählungen über Chemtrails, Impfungen und den „Great Reset“ mit der Praktizierung einer „alternativen Heilkunde“. Wichtig zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass Speit das Aufkommen solcher Ideologien auf die Verwerfungen einer kapitalistischen Gesellschaft zurückführt.

Umfeld des Wohnprojektes „Clan B“ besucht Demonstrationen in Oldenburg

Im Januar konzentrierten sich die verschwörungsideologischen Proteste im Gegensatz zum Dezember eher in den Städten Oldenburg und Delmenhorst als im Landkreis. Dementsprechend waren auch Akteure aus dem Landkreis auf Demonstrationen in Oldenburg zu sehen, zum Beispiel aus dem Umfeld des Sandhatter Wohnprojekt „Clan B“ (Siehe: Antifaschistischer Monatsbericht Dezember 2021 – Sonnenwendenfeier im „Clan B“ in Sandhatten). Unter diesen Personen war auch Nicoll de Bruin.

Nicolle de Bruin (2. von links) am 03.01. vor den Schlosshöfen in Oldenburg. Bildquelle: nutshell fotografie

Nicoll de Bruin ist die 2. Ehefrau des völkisch-esoterischen Atomkraftgegners Walter Soyka. Als solche ist sie Mutter von Frederike (Rike) und Luise (Isi) de Bruin, welche in Folge der verschwörungsideologischen Proteste zum Corona-Virus in Oldenburg und bundesweit in Erscheinung getreten sind. Diverse Mitglieder der Familie Soyka/de Bruin sind als Anhänger*innen des antisemitischen Kults der Ludendorffer aktiv, beispielsweise auch Nicolles Sohn Tilmann de Bruin, der für die Liste „Gotterkenntnis (Ludendorff), Volkserhaltung und Sozialethik“ zu Gremienwahlen der Universität Bremen kandidierte. Neben den erwähnten Kindern hat sie noch eine weitere Tochter und einen weiteren Sohn. Seit 2001 wohnt sie in Oldenburg-Osternburg in der Breslauer Straße.

Heute betreibt sie die Großtagespflegestelle „gartenkinder“ in der Breslauer Str. 51.

Jene Nicolle de Bruin war nicht nur Ehefrau, sondern auch direkt verwickelt in die politischen Aktivitäten ihres Mannes. Beispielsweise versuchte sie sich in einer Sammelklage gegen das Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich von ihrem Mann Walther und dessen Halbbruder Wieland Soyka sowie Roland Bohlinger vertreten zu lassen, was letztlich trotz Verfassungsbeschwerde scheiterte. In der Begründung ihrer Verfassungsbeschwerde bezieht sie sich auf die Publikation „Der Rechtsweg“ des extrem Rechten „Insitut für biologische Sicherheit“, das von Walther Soyka und Roland Bohlinger geführt worden ist

Über Roland Bohlinger schrieb „endstation-rechts“:

1982 brachte der Verleger und Kernenergiegegner Bohlinger ein Buch über den „Hartmut-Gründler-Klägerverband für Volksgesundheit und biologische Sicherheit“ heraus. Gründler war bekennender AKW-Gegner und machte 1977 seinem Leben ein Ende, indem er sich in drastischer Protestform in Hamburg selbst verbrannte. In dem nach ihm benannten Klägerkreis mischten seinerzeit diverse ökologisch angehauchte Rechtsextremisten mit.

Bohlinger, der auch Verbindungen zum antisemitischen Bund für Gotterkenntnis (‚Ludendorffer‘) pflegt und in einer Reihe rechtsgerichteter heidnischer Verlage zu sehen ist, war 2001 Herausgeber des Buches ‚Gescheiterter Verleumdungskrieg‘, das gegen die Ausstellung ‚Verbrechen der Wehrmacht‘ und deren Urheber, dem Hamburger Institut für Sozialforschung, polemisierte.

Die Corona-Rechten in der Gemeinde Ganderkesee

Die erste Aktivität aus dem rechten Spektrum bezüglich der Corona-Pandemie stellt eine Versammlung am 03.01 in Bookholzberg dar. Laut Freie Niedersachsen seit dort 14 Personen zusammengekommen.

Bilder der Versammlung in Bookholzberg am 03.01, oben in Bewegung, unten beim Abstellen der Kerzen und Plakate. Bildquelle: Screenshot von dem Telegram-Kanal „Freie Niedersachen“

Eine Woche später, am Montag den 10.01. nutze die Szene Ganderkesee als Ausweichmöglichkeit für Demonstrant*innen, die Hude aufgrund der Gegendemonstration meiden wollten. Dementsprechend kam es in Hude zu keinem Aufzug, während sich in Ganderkesee laut Polizei 50 Personen versammelten. Dies beweist, dass die Szene der verschwörungsideologischen Rechten im Landkreis Oldenburg agil ist und auch ohne öffentliche Mobilisation einige Dutzend Personen versammeln kann, sofern eine Dringlichkeit empfunden wird. Die Polizei meldet des Weiteren eine Widerstandshandlung während einer Identitäsfeststellung, die Gegenseite sah hingegen provozierte Gewalt der Polizei am Werk. In Bookholzberg demonstrierten zeitgleich etwa 10 Personen.

Unterhaltung zwischen Inge und Norbert über die Verlagerung der Versammlung am 10.01 von Hude nach Ganderkesee. Bildquelle: Screenshot von dem Telegram-Kanal „Ungeimpft / Geimpft für den Frieden in Delmenhorst“

Zur Koordination der Aktivitäten diente vor allem die öffentliche Telegram-Gruppe „Ungeimpft / Geimpft für den Frieden in Delmenhorst“, wahrscheinlich aufgrund der Nähe der beiden Orte. Wie bereits im Januar-Bericht für Delmenhorst erwähnt, postete eine Nutzerin namens „Tanja Rasch“ in dieser ein Lied der Neonazi-Band Sleipnir (Siehe: Antifaschistischer Monatsbericht Januar 2022 (1): Delmenhorst – Die Telegram-Gruppe „Geimpft / Ungeimpft für Frieden in Delmenhorst“) – jene Tanja Rasch kommt aus Ganderkesee und arbeitet beim ambulanten Pflegedienst „Landdienste“ in Ganderkesee. Ob sie dort weiterhin arbeitet ist fraglich, jedenfalls deutete sie an, dass sie aufgrund der einrichtungsbezogenen Impfpflicht ihren Arbeitsplatz verlieren könnte. Eine weitere Person aus Ganderkesee in dieser Gruppe ist ein*e Nutzer*in mit dem Kürzel „@GanterBellaItalia“, die mit diesem Account Inhalte mit QAnon-Bezug verbreitet („Ganter“ ist eine gängige Bezeichnung für die Gemeinde Ganderkesee). In Ganderkesee befindet sich darüber hinaus ein Restaurant mit dem Namen „Bella Italia“. Außerdem ist mit dem Wildeshauser Sven André Debicki ein weiteres bekanntes verschwörungsideologisches Gesicht Mitglied der Gruppe.

Am 17.01.2022 demonstrierten etwa 20 Personen in Ganderkesee. Eine Woche später, am 24.01., fand erstmals eine Gegendemonstration statt, welche von dem Bündnis „Nachdenken statt Querdenken“, bestehend aus SPD, Grünen und Linkspartei, organisiert worden ist. Mobilisiert werden konnten etwa 60 Personen, an den Versammlungen der Corona-Rechten nahmen jeweils 10 Personen in Ganderkesee sowie in Bookholzberg teil. Daraufhin suchte Nadine Behrens in der Gruppe „Ungeimpft / Geimpft für den Frieden in Delmenhorst“ eine Mitfahrgelegenheit für die Montagsdemonstrationen in Delmenhorst, da sie von der Größe der Demonstration in Ganderkesee enttäuscht war – es wird also eine Abwanderung von Ganderkesee nach Delmenhorst deutlich. Am selben Tag (24.01.) wurde der Ganderkeseer Thorsten Hölscher in Delmenhorst im Rahmen der Versammlungen festgesetzt. Gegenüber dem Delmenhorster Kreisblatt mimte er den nichtsahnenden Passanten, der zufällig in einen Polizeikessel geriet – dabei nimmt Hölscher selber regelmäßig an Versammlungen der Corona-Rechten teil.

Torsten Hölscher (ohne Maske) zeigt Vertreter*innen der lokalen FDP seinen Forellenbetrieb „Toniforelli’s Anglerparadies“ in Ganderkesee im Jahr 2021. Thema waren die Auswirkungen der Pandemie auf seinen Betrieb. Bildquelle: Niklas Golitschek

Die auf der Gegendemonstration vorgebrachten Kritik an der Szene der Corona-Rechten bleib jedoch hinter dem Notwendigen zurück. Ein Ratsherr der Linkspartei sagte, Impfgegner*innen seien nicht per se Rechts, es sei jedoch erwiesen, dass „sogenannte ‚Spaziergänger‘ und ‚Querdenker‘ von rechts unterwandert sind und ordentlich gegen unsere freiheitliche Verfassung schießen.“ Dies entspricht nicht unseren Analysen und widerlegt sich in unserer Recherchearbeit jedes Mal auf‘s Neue: Alle Personen, die sich öffentlich hervortun, fallen mindestens mit antisemitischem Verschwörungswahn auf und auch bei der Analyse von „einfachen“ Teilnehmer*innen tun sich mit Blick auf Social-Media-Profile oft Abgründe auf. Von einer Unterwanderung kann insofern keine Rede sein.

Aus dem Montagsrhytmus ausbrechend fand die folgende Versammlung am Mittwoch, den 26.01. statt, jedoch kamen laut eigener Aussage zu Hochzeiten gerade einmal 9 Leute zusammen. Am 31.01. gab es erneut eine Demonstration vom Bündnis „Nachdenken statt Querdenken“ mit etwa 40 Personen, Versammlungen seitens der Corona-Rechten gab es nicht.

„GartenMicha“ kommuniziert am 26.01. den neuen Demonstrationstermin in Ganderkesee, Jochen Segelhorst zeigt Interesse. Bildquelle: Screenshot von dem Telegram-Kanal „Ungeimpft / Geimpft für den Frieden in Delmenhorst“