Antifaschistischer Monatsbericht Januar 2022 (1): Delmenhorst

Die Stadt Delmenhorst entwickelt sich zu einem „Hot-Spot“ der Aktivitäten der Freien Niedersachsen im Nordwesten, was wohl auch an der Schwäche der Bewegung in Bremen liegt. Die „Spaziergänge“ finden seit dem 06.12.2021 jeden Montag statt. Außerdem sind zum Teil an anderen Wochentagen Versammlungen zu beobachten. Im Januar fanden im Durchschnitt 3-4 Versammlungen pro Woche statt, die bei den Freien Niedersachsen gelistet worden waren. Das ist niedersachsenweit ein Spitzenwert.

Der rechte Medien-Aktivist Michael Wittwer („Pro Chemnitz“-Umfeld) streamte am 20.12.2021 live von der Versammlung aus Delmenhorst. Rechts mit Megafon: Die Versammlungsleitung Andrea; es waren etwa 350 Personen anwesend, u.a. die AfD-Politiker Dennis Schröder und Lothar Mandalka. Bildquelle: Screenshot von dem YouTube-Kanal „Michel Michael Wittwer 2.0“

Im Januar ist nun klar geworden, dass die Versammlungen in Delmenhorst die größten der Region sind. Laut Polizeiangaben mobilisierte die Bewegung in der Spitze 540 Personen, wobei zu beachten sind, dass die Angaben der Polizei gerne (in beide Richtungen) von der Realität abweichen. Sicher ist jedoch, dass sich jeden Montag mehrere Hundert Personen den Versammlungen in Delmenhorst angeschlossen haben. Es folgt ein Überblick, der sich chronologisch an den allmontaglichen Versammlungen orientiert und darüber hinaus versuscht, Hintergrundinformationen zu den rechten Akteur*innen zu bieten.

Fester Bestandteil: AfD und organisierte Neonazis wie „Kategorie C“

Am 03.01 fand, neben den Versammlungen der Corona-Rechten, auch eine Kundgebung des Breiten Bündnis gegen Rechts (BBgR) mit etwa 200 Teilnehmenden statt. Hans-Joachim Müller vom Sprecher:innenrat des BBgR griff dabei auch einen Brandanschlag eines 31-jährigen Mannes vom 23.03.2021 mit sechs Molotowcocktails auf das Delmenhorster Ratshaus auf:

Ein Corana-Frustrierter, der seiner Unzufriedenheit über die Corona-Maßnahmen Ausdruck verleihen wollte, schleuderte Brandsätze in das Rathaus und setzte Teile in Brand. Glücklicherweise konnte das Hausmeister-Ehepaar sich retten und engagierte Mitbürger:innen hielten den Täter fest und informierten die Polizei. Der große Schaden von 250.00 Euro ist da. Der politische Hintergrund der Tat wurde vom Oldenburger Landgericht unmissverständlich festgestellt. Unverständlicherweise verkürzte es aber die vom Delmenhorster Amtsgericht festgesetzte Strafe von 3 Jahren um 3 Monate und setzte den Strafbefehl außer Vollzug. Damit wird das politische Motiv der Tat nicht angemessen berücksichtigt. Denn der politische Hintergrund ist da. In den Sozialen Medien, da wurde der Delmenhorster Straftäter motiviert und auch auf der Straße radikalisiert sich die Szene immer mehr.

Es versammelten sich außerdem etwa 500 Corona-Rechte, die sich zu einem Aufzug formierten. Mit dabei waren zwei ehemalige AfD-Stadträte, darunter Stefan Kappe. Außerdem dokumentierte Holger Lüders, Gründungsmitglied der AfD und Stadtratskandidat bei der Kommunalwahl 2021, diese und weitere Versammlung auf seinem YouTube-Kanal „Grootsnut-TV“.

Schon länger auf verschwörungsideologischen Demonstrationen unterwegs: Gabriele Friese, Holger Lüders und Stefan Kappe (von Links nach Rechts) am 29.08.2020 in Berlin. Bildquelle: Facebook

Neben den ehemaligen und aktuellen Vertreter*innen der AfD waren auch Personen aus der rechten Bremer Mischszene bestehend aus Hooligan-, Rechtsrock- und Rotlichtmilieu auf der Versammlung anwesend. Ein Gruppenbild, welches im Telegram-Kanal der Neonazi-Rockband „Kategorie C – Hungrige Wölfe“ (KC) aus Bremen geteilt wurden, zeigt deren Lead-Sänger Hannes Ostendorf in Begleitung im Aufzug. Zu KC schrieb „antifa-bremen.org“ 2010:

KC’ ist eine nach außen scheinbar unpolitische Band aus dem Bremer Raum, sie gelten als DIE Hooligan-Band. Ihre Mitglieder waren über die Jahre in diversen Nazibands (Endstufe, Patriotic Bois, Nahkampf) aktiv, und unterhielten enge Kontakte zum Blood&Honour-Netzwerk. Der Sänger Hannes Ostendorf trat nebenbei noch mit der Naziband ‚Agitator‘ auf, unter anderem bei einem Aufmarsch zur Freilassung des Landser-Sängers Michael Regener. Allen Mitgliedern sind eindeutig faschistische Aktivitäten und Kontakte nachzuweisen, sie stellen einen Flügel im rechten Netzwerk dar, der gemäß seinen Interessen und selbstgestellten Aufgaben agiert. Neben der politischen Agitation im großteils eher unpolitischen, jungen Fußball-Umfeld geht es bei Musik-Projekten wie ‚KC’ immer auch um konkrete Geschäftsinteressen. Der Bereich Hooligan-Musik, -Streetwear u.a. stellt seit Jahren ein riesen Geschäftsfeld dar, in dem auch regionale Nazis wie Hannes und Henrik Ostendorf sowie ihr jüngerer Bruder Marten […] Geld machen wollen.

Hannes Ostendorf (vorne, links) neben einer Person mit KC-Mütze im Demonstrationszug nahe des ZOB. Bildquelle: Screenshot von dem Telegram-Kanal „Kategorie C Hungrige Wölfe“

Die in dem Zitat benannten Geschäftsinteressen werden auch im Telegram-Kanal von „KC“ fleißig bedient. Neben Werbung für die Musik der Band werden dort auch Artikel aus dem Online-Shop von KC, u.a. ein Baseball-Schläger mit Band-Logo und Quarz-Handschuhe, beworben. Dazwischen finden sich weitergeleitete Artikel von rechten Medien und anderen Telegram-Kanälen, Fanpost und und weitergeleitete Nachrichten von Personen aus dem Umfeld der Gruppe.

Vorläufiger Höhepunkt: Größte Beteiligung und aggressives Auftreten am 10. Januar

Ebendiese nahmen auch an der Versammlung am 10.01 teil. Diese war mit etwa 540 Personen, zumindest nach Angaben der Polizei, der bisher größte Aufmarsch in Delmenhorst. Der Gruppe um Hannes Ostendorf, die zuvor mit einem Bild auf Telegram zu der Demonstration mobilisiert hatte, gehörte dieses Mal auch der Neonazi Frank Günther an. Dies geht u.a. aus Videos sowie aus der Tatsache, dass Inhalte von Günthers Telegram-Account „ExtremSportler Sport frei“ mit Bezug zu Delmenhorst in den Kanal weitergeleitet wurden, hervor. Der Gruppe gehörte außerdem ein Mann mit Einkaufswagen an, der darin eine große Musikbox transportierte, mit der u.a. die Lieder von Hannes Ostendorf gespielt wurden, darunter das Lied „Zu Gast bei uns“, das 2006 auf dem „Fußballsampler“ als Gemeinschaftsproduktion mehrere extrem Rechter Sänger erschien oder das Lied „Deutschland krempelt die Ärmel hoch“, welches Ostendorf zusammen mit Xavier Naidoo singt. Ostendorf und Naidoo drehten außerdem ein Musikvideo auf dem Gelände der extrem rechten und gewaltbereiten Bürgerwehr „Steeler Jungs“, das jüngst von der Polizei wegen Drogen- und Waffenhandel durchsucht worden ist. Gefunden wurden u.a. ein funktionsfähiges Sturmgewehr, ein Präzisionsgewehr und Handfeuerwaffen.

Der genannte Frank Günther ist mindestens seit 2003 Teil der lokalen Neonazi-Szene. „antifa-bremen.org“ schrieb 2013 zu diesem:

Frank ‚Franky‘ Günther aus Groß Ippener bei Delmenhorst gehört zu den klassischen Naziglatzen. Nicht übermäßig helle, gibt der Selbstdarsteller sich dafür gerne sportlich/kämpferisch. Günther ist nun seit mehr als 10 Jahren im Nazisumpf unterwegs, engere Kameradschaft hielt er mit dem Ex-Harpstedter Mario Müller, mit dem er auch im November 2006 in Bremen-Walle mitmarschierte. Seit einiger Zeit biedert er sich besonders bei ‚KC‘ und deren Sänger Hannes Ostendorf an.

Er trat im selben Jahr als Anmelder eines rechten Aufmarsches in Kirchweyhe (LK Diepholz) auf, welcher untersagt worden ist. Günther hat zudem Kontakt zum Aktivisten Jascha Marc Bayer von der „Identitären Bewegung Bremen“, welcher 2018 als in Kirchseelte wohnhaft geoutet worden ist. Eine Dokumentation zeigt „Franky“ zusammen mit Marcel Kuschela alias „Flubber“, Mitbegründer des Hooligan und Neonazi-Netzwerks „Gemeinsam Stark Deutschland“ (GSD), auf einem RechtsRock-Festival in Themar. Auch an der Versammlung aufgrund von Kuschelas Suizid nahm „Franky“ teil.

Hannes Ostendorf (links) zusammen mit Frank Günther (rechts, grüne Schirmmütze) auf dem „Trauermarsch“ für Marcel Kuschela am 20.09.2018 in Mönchengladbach. Bildquelle: recherche-nord

An diesem Tag war außerdem ein aggressiveres und selbstbewussteres Auftreten zu beobachten. Die Polizei berichtete in einer Pressemitteilung von einem Angriff auf eine Beamtin während einer Identitätsfeststellung sowie von der Sicherstellung eines verbotenen Messers und diversen Verstößen gegen die Maskenpflicht. Außerdem sei ein Verfahren wegen Volksverhetzung eingeleitet worden. Die Beamtin trug laut BBgR Verletzungen davon.

Der Vorsitzende der AfD-Fraktion im Delmenhorster Stadtrat, Jaroslaw Poljak, ehemaliger Oberbürgermeisterkandidat in Wilhelmshaven, sieht die Dinge naturgemäß anders. Auf dem Blog der AfD Oldenburg Land schrieb er zu der Demonstration am 10.01:

Das waren keine Nazis, keine bösen Menschen und sie wollten auch nichts Böses. Sie haben einfach nur auf sich aufmerksam gemacht.

Diese Aussagen verwundern nicht angesichts dessen, dass sich die AfD im Oldenburger Land den protestierende Milieus versucht anzubiedern. Wie wenig diese Worte mit der Realität zu tun haben, kann mit der (selbst-)dokumentierten Teilnahme militanter Neonazis um Kategorie C und den Aussagen der Polizei-Pressemitteilungen besonders deutlich aufgezeigt werden.

Es sei außerdem erwähnt, dass es eine Gegenveranstaltung des BBgR in Form einer Menschenkette rund um das Rathaus gegeben hat, an der 400 Personen teilnahmen.

Veränderte Strategie: Der 17. Januar

Eine Woche später, am 17.01, mobilisiert das gleiche Bündnis 600 Menschen zu einer Menschenkette entlang der Bismarckstraße. Die Versammlung der Corona-Rechten verteilte sich dieses Mal auf die Graftwiesen (etwa 200 Teilnehmende) sowie in vielen Gruppen über den Innenstadt Bereich (etwa 250 Personen). Unter den Teilnehmenden in der Innenstadt war auch Hannes Ostendorf. Einem Bericht des Delmenhorster Stadtverbands der Linken zufolge hatte die Polizei die Situation nicht unter Kontrolle. Die Linke Delmenhorst schrieb außerdem:

Im Stadtzentrum konnten, wie auch im Video von Delmenews zu sehen, die SpaziergängerInnen unterdessen völlig ungehindert und maskenlos skandieren und andere StadtbewohnerInnen schikanieren.

Auch die Herren Lothar Mandalka und Jaroslaw Poljak von der AfD-Stadtratsfraktion wurden spazierend in der Bahnhofstraße gesehen. Der ehemalige AfD- Stadtrat, Holger Lüders, dokumentierte in seinem Youtube-Kanal gut erkennbar eine große Gruppe Menschen, die ohne Masken und ‚Friede, Freiheit, Selbstbestimmung‘ rufend durch die Bahnhofstraße in Richtung Stadtmitte zogen.

Es gelang der Polizei, eine kleine Gruppe von Menschen festzusetzen und deren Identität zu überprüfen. Dabei soll eine Personen Widerstand geleistet haben. Des weiteren soll eine Person mit dem Auto auf kontrolloriende BeamtInnen zugefahren sein und zwang diese zu einem Sprung zur Seite.

Unter den festgesetzen Personen war auch Hannes Ostendorf. Die geschilderte mögliche Autoattacke griffen außerdem der NDR und die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Niedersachsen auf. Nachdem die Polizei am Abend des 17.01 von eingeleiteten Ermittlungen wegen „gefährlichen Eingriffes in den Straßenverkehr“ schrieb, korrigierte sie einen Tag später, dass es sich dabei lediglich um eine Ordnungswidrigkeit handle.

Der Beitrag zeigt die Teilnehmer*innen der Versammlung in der Delmenhorster Innenstadt auf der Bahnhofsstraße und gibt eine übertriebene Teilnehmer*innenzahl an. Bildquelle: Screenshot von dem Telegram-Kanal „Freie Niedersachen“

Antisemitischer Angriff auf das „Delmenhorster Kreisblatt“

Am Mittwoch, den 19.01, zwischen 1.45 Uhr und 2.45 Uhr kam es zu einem weithin beachteten Angriff auf das Verlagsgebäude des „Delmenhorster Kreisblatt“. Das Gebäude wurde mit Hakenkreuzen und den Worten „Propaganda“ sowie der Gehweg davor mit dem Schriftzug „Wir machen Holocaust“ beschmiert. Da sich diese Aussage nahtlos in die Shoa-relativierenden Narrative aus Impfgegner*innenkreisen einfügt, ist es ziemlich offensichtlich, in welchen Kreisen die Täter*innen zu suchen sind. Das „Breite Bündnis gegen Rechts“ hat eine Belohnung von 3.000 Euro für sachdienliche Hinweise zur Aufklärung der Tat ausgesetzt. Die Linke Delmenhorst meldete noch am selben Tag eine Mahnwache am Verlagsgebäude an.

Des weiteren tauchte einen Tag später an der Ecke Bahnhofsstraße/Lange Straße ein in Farbe und Stil ähnlicher Schriftzug „Maske ab | NWO“ auf. „NWO“ steht dabei für „New World Order/Neue Weltordnung“ und dient als Verschwörungsmythos, der die Errichtung einer weltumspannenden Herrschaft durch eine, meist mit antisemitischen Chiffren beschriebenen, geheim agierenden Gruppe beschreibt. In diesem Kontext wird zum Beispiel die Corona-Pandemie als „Plandemie“ begriffen, welche dazu dient, diese Weltherrschaftspläne durchzusetzen.

Der Schriftzug „Maske auf | NWO“ an der Ecke Bahnhofsstraße/Lange Straße am Morgen des 20.01. Bildquelle: Twitter

Olaf Kistenmacher schrieb in seinem Artikel „Wahnvorstellungen in der Krise“, der im Antifaschistischen Infoblatt Nr.133 erschienen ist, zum Post-Shoa-Antisemitismus im Kontext der rechten Mobilisierungen zur Corona-Krise:

Wenn sich Deutsche gelbe Sterne anheften, treiben sie die Relativierung noch weiter. Nicht nur wird der Regierung der Bundesrepublik zu einer ‚Corona-Diktatur‘ erklärt und mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzt. Diese Deutschen selbst setzen sich mit dem Opfern der Nazis gleich. Das ist schon keine Relativierung der Shoa mehr, das ist eine Trivalisierung. Und sie hat für nichtjüdische Deutsche eine entlastende Funktion. Denn ob es ihnen bewusst ist oder nicht: Wenn die gesundheitspolitischen Maßnahmen so schlimm wären wie das einmalige Verbrechen in der Menschheitsgeschichte, dann muss die Shoa heute keine Bedeutung mehr haben. Diese Trivialisierung schließt nahtlos an das Gerede von Köpfen der AfD und der ‚Neuen Rechten‘ an, in Deutschland würden eine ‚Erinnerungsdiktatur‘ und ein ‚Schuldkult‘ herrschen, sowie ihren Versuchen die Shoa zu einem ‚Vogelschiss‘ in der Geschichte zu erklären.

Diese beiden Motive des modernen Antisemitismus – die Schuldabwehr und die Verschwörungsideologien – kommen bei den Coronaleugnern und ‚Querdenkern‘ zusammen.

Eine der Reaktionen auf diese Tat, die im „Delmenhorster Kreisblatt“ (DK) vom 20. Januar dokumentiert sind, möchten wir ausdrücklich ebenfalls kritisieren. Thorsten Schulze, der Geschäftsführer von DK Medien wird dort mit den Worten zitiert: „Offenkundig kommen Chaoten aus welchem extremen Lager auch immer nicht mit einer Berichterstattung zurecht, die die Ereignisse in unserer Stadt kritisch-konstruktiv begleitet, einordnet und bewertet.“ Auch die Polizei wollte zu diesem Zeitpunkt noch keine öffentliche Einordnung vornehmen.

Jaroslaw Poljak, die „Juden in der AfD“ und ihre Funktion

Der Post-Shoa-Antisemitismus gehört auch zum festen Bestandteil des AfD Kreisverbands Oldenburg Land, wie auch auf diesem Blog bereits zweimal dokumentiert worden ist [1 & 2]. Wieder war es Jaroslaw Poljak, Mitbegründer der „Juden in der AfD“ (JAfD), der sich am 27.01, dem Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee, in Form eines Blog-Beitrags zu Wort meldete. Wie immer, wenn er in letzter Zeit die aktuellen Anti-Corona-Maßnahmen in die Nähe des NS rückte, betonte er in seinem Text mehrmals, dass die Situation heute mit der Situation damals nicht vergleichbar sei, wir uns jedoch wieder am Anfang einer Entwicklung befinden würden, die der Shoa gleichkommen könnte. Seine Anhänger*innen wiederum fühlen sich durch seine wiederholten Andeutungen und „Mahnungen“ aus vermeintlich moralisch überlegener Position ermuntert, ihren Geschichtsrevisionismus ganz offen auszuleben. Zeugnis davon legen beispielsweise die Kommentare unter Poljaks Facebook-Post zum 27.01 ab, die dort unwidersprochen stehen bleiben.

Links: Poljak postet seinen auf dem AfD-Blog erschienen Beitrag. Rechts: Shoa-relativierende und geschichtsrevisionistische Kommentare bleiben unwidersprochen stehen. Bildquelle: Screenshot Facebook

Die „Juden in der AfD“ selbst, mit 24 Gründungsmitgliedern eine sehr kleine Gruppierung innerhalb der AfD, nimmt dabei genau diese Funktion ein. Sie dient als Feigenblatt, um den eigenen Antisemitismus zu verdecken, der sowohl unter ihren Anhänger*innen als auch innerhalb der Partei überdurchschnittlich ausgeprägt ist. Bezeichnend ist beispielsweise der Vorsitzende dieser Organisation, Artur Abramovych, der im neu-rechten Magazin „Blaue Narzisse“ publiziert und dort den Attentäter von Halle ein rechtes Motiv abspricht. In ihren Grundsätzen wird ebenfalls von einer „exzessiven Vergangenheitsbewältigung von links“ fabouliert und Antisemitismus von rechts gänzlich ausgeklammert, was die politische Funktion, die Instrumentalisierung des Kampfes gegen den Antisemitismus als Kampf gegen Muslim*as und Linke, deutlich macht.

Jaroslaw Poljak, Flügel-Anhänger Stephan Bothe und JAfD-Vorsitzender Artur Abramovych auf einer Veranstaltung der niedersächsischen AfD-Fraktion am 10.02.2019. Bildquelle: Screenshot von dem YouTube-Kanal „AfD-Fraktion Niedersachsen“

Die JAfD löste bei ihrer Gründung eine deutliche Gegenreaktion des Zentralrats der Juden und 46 weiteren jüdischen Organisationen aus. Die JAfD hingegen behauptet, ganz in AfD-Manier, eine Stille Mehrheit der Jüdinnen*Juden in Deutschland zu vertreten, während die „offiziellen“ Institutionen und Funktionär*innen von „ihren Geldgebern“ abhängig seien und nicht „den eigentlichen“ Willen der jüdischen Gemeinde in Deutschland vertreten würden.

Einen guten Überblick zur JAfD bietet der Artikel „Völkische Farce“ von Tom Uhlig, der in Ausgabe 194 im Magazin „der rechte rand“ erschien. Diesen möchten wir nun noch einmal abschließend zitieren:

Solche geschichtsrevisionistischen und antisemitischen Positionen kommen nicht zufällig auf, sondern als unweigerliche Folge der Ideologie der Volksgemeinschaft, wie sie die AfD vertritt. Das Volk wird aggressiv bestimmt über sein Anderes, das was nicht dazugehören darf und es von innen angeblich bedroht: Dieses Andere des Volkes ist nicht beliebig austauschbar, sondern historisch unumkehrbar mit der Figur der Jüdinnen und Juden verbunden.

Zusammen mit Kategorie C und AfDlern „gegen Rechts“

Die montaglichen Versammlungen setzten sich unterdessen auch am 24.01 fort. Zur Gegenveranstaltung wurden etwa 400 Menschen mobilisiert, die Corona-Rechten brachten etwa 330 Menschen auf die Straße. Viele der Teilnehmenden kamen wahrscheinlich aus dem Oldenburger Land, wo dieses Mal weniger Versammlungen stattfanden als in den Wochen zuvor. Später wurde in der Langen Straße 30 Personen festgesetzt, darunter auch der regelmäßige Teilnehmer der „Spaziergänge“ Torsten Hölscher aus Ganderkesee, wie das „Delmenhorster Kreisblatt“ berichtete. Das zeigt wieder einmal, dass die Präsenz der allwöchentlichen Polizeigroßaufgebote in vielen Orten keinesfalls ein wünschenswerter Zustand ist.

Im Verlauf des Abends wurde die Gegenkundgebung von einer Gruppe Jugendlicher gestört, die einen Platzverweis erhielten. Für Aufsehen sorgt zudem eine Person in Bundeswehr-Uniform inklusive Helm, der nach einiger Zeit wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz in eine polizeiliche Maßnahme geriet. Ermittlungen hätten ergeben, dass der Mann kein Angehöriger der Bundeswehr sei.

Auch dieses Mal zeigen Videos die Anwesenheit von Menschen aus dem Umfeld von Kategorie C. Es entstand außerdem ein geradezu sinnbildliches Foto, das eine Person mit grauer KC-Jogginghose hinter zwei Personen mit Warnwesten laufend zeigt, auf denen „Farbe bekennen gegen Rechts – Gemeinsam gegen Zwang“ steht.

Bildunterschrift: Dennis Schröder (mittig, groß und ohne Mütze) neben einer Person mit KC-Jogginghose. Bildquelle: Pixel Matsch

Auf dem Bild ist außerdem das AfD-Mitglied Dennis „Danny“ Schröder zu sehen. Dieser nahm bereits an den rassistischen und antifeministischen „Frauenmärschen“ in Delmenhorst und Papenburg im Jahr 2018 sowie an den Mobilisierungen in Oldenburg rund um die „Menschenwürde Mahnwachen“/„Querdenken441“ teil. Er wurde außerdem als Ausrichter eines AfD-Stammtisches am 04.08.2020 im Restaurant Trattoria in Delmenhorst angegeben.

Auch die AfD Oldenburg Land schickte nach eigenen Angaben wieder „politische Beobachter“, namentlich Jaroslaw Poljak, Lothar Mandalka und Ulrike Krause-Harjes.

Übersicht über die Delmenhorster AfD-Stadtratsmitglieder: Neben den bekannten Poljak, Krause-Harjes und Mandalka auch Bernd Lohmann. Bildquelle: Screenshot von der Seite www.afd-oldenburg-land.de

Die Telegram-Gruppe „Geimpft / Ungeimpft für Frieden in Delmenhorst“

Der AfDler Holger Lüders bewarb die Versammlung am 24. auf seinem Kanal „Grootsnut-TV“ und leitet mit seinem privaten Telegram-Account das Werbe-Bild in die Telegram-Gruppe „Ungeimpft / Geimpft für den Frieden in Delmenhorst“, ursprünglich „Ungeimpft Delmenhorst“, weiter. Einen Tag später, am 25.01, bewarb dort der User „Julian“ Kapuzenpullover aus dem Online-Shop von KC. Dort lassen sich Pullover mit der Aufschrift „[Stadt einfügen] steht auf!“ sowie Sticker bestellen. Die Sticker zeigen die Aufschrift „Wir bleiben frei!“ über einer zerbrochenen Spritze mit der Aufschrift „Impfpflicht“ und Werbung für die Website „Hannes Solo“. Diese vermarktet Hannes Ostendorf als Solo-Künstler, jedoch verlinkt die Seite auf den Online-Shop von KC, „KC die Firma“ steht außerdem im Impressum. Nachrichten des Users wurde bereits in den Kanälen von KC weitergeleitet, es handelt sich also um eine Person aus deren Umfeld. Er bot an, die „Delmenhorst steht auf!“ Pullover und T-Shirts „zu besorgen“, er selbst verdiene daran nichts. Seit dem 30.01 sind im KC-Shop außerdem Fahnen mit dem Aufdruck „Impfzwang? Nein Danke!“ mit Schwarz-Weiß-Roten Applikationen bestellbar. Die von „antifa-bremen.org“ angesprochenen Geschäftsinteressen, welche die Ostendorf-Brüder in der Neonazi-Szene verfolgen, werden also auch hier wieder überdeutlich, die Proteste der Anti-Impf-Bewegung werden kommerziell ausgenutzt.

Links: „Julian“ präsentiert Pullover und Sticker aus dem KC-Shop. Bildquelle: Screenshot von dem Telegram-Kanal „Ungeimpft / Geimpft für den Frieden in Delmenhorst“ Rechts: Werbung für das Banner „Impfzwang? Nein Danke!“ Bildquelle: Screenshot von dem Telegram-Kanal „Kategorie C Hungrige Wölfe“

Admins der Telegram-Gruppe sind Monika Zillgitt aus Delmenhorst sowie ein User mit dem Namen „Alex“. Die Inhalte sind die üblichen Nachrichten aus verschwörungsideologischen/rechten Telegram-Kanälen, Werbung für die Versammlungen in Delmenhorst und Esoterik. Es werden aber auch ganz offen Inhalte aus neonazistischen Kontexten gepostet, wozu es keinerlei Widerspruch gibt. So postete Tanja Rasch ein Lied der der Neonazi-Band „Sleipnir“ mit dem Titel „Deutschland schafft sich ab“, einem User mit dem Namen „Norbert“ gefällt das offenbar und er bedauert daraufhin am Beispiel Thilo Sarrazins, dass diejenigen Politiker, die „die Wahrheit“ sagten, rausflögen. Einige Profilbilder verweisen zudem auf Reichsbürger*innen/Souveränist*innen und auf den Verschwörungsmythos „QAnon“. Ein Profilbild zeigt eine Reichskriegsflagge. Es handelt sich also um eine Telegram-Gruppe, in der verschiedene rechtsextreme Ideologien fester Bestandteil sind.

Kein organisierter Gegenprotest am 31. Januar

Am 31.01 fand kein organisierter Gegenprotest vom BBgR statt. Auf Seiten der Corona-Rechten versammelten sich mindestens 250 Personen. Wieder kam es zu einem Aufzug um die Stadt und zur Versammlung von kleineren Gruppen in der Innenstadt. Auch die Gruppe um Hannes Ostendorf war wieder anwesend.

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